Vom gefeierten Torjäger zur Symbolfigur des Widerstands: Ali Daei spielte von 1999 bis 2002 für Hertha BSC und machte vor allem in der Champions League auf sich aufmerksam. Daei nutzte seine Popularität nach dem Ende seiner sportlichen Laufbahn, um sich für Freiheit und Menschenrechte im Iran einzusetzen – mit gravierenden Folgen.
Text: Björn Leffler
© Foto Titelbild: IMAGO / Contrast
Es war an einem kühlen Mittwochabend im September 1999, als Marcel Desailly, Frank Leboeuf und Ed de Goey Bekanntschaft mit einem Mann machten, dessen Namen sie zuvor vermutlich nicht kannten.
Es war das zweite Vorrundenspiel in der Champions-League-Vorrunde und der FC Chelsea war zu Gast beim europäischen Neuling Hertha BSC, der bis dahin international ebenfalls ein unbeschriebenes Blatt war – zumindest seit den späten 1970er Jahren.
Champions League 1999: Ali Daei schlägt den FC Chelsea im Alleingang
Doch es sollte nicht lange dauern, bis die Hintermannschaft des FC Chelsea wusste, wer der hochgewachsene iranische Stürmer im Zentrum des Berliner Bundesligisten war, den sie an diesem Abend nicht in den Griff bekommen würden.
Denn nach nicht einmal zwei Minuten hatte Ali Daei mit einem wuchtigen Kopfball das 1:0 für Hertha BSC erzielt – und das Berliner Olympiastadion unverzüglich in ein Tollhaus verwandelt. Torhüter und Abwehrspieler warfen sich fragende Blicke zu und verstanden wohl erst jetzt, dass dieser Abend im Berliner Westend ungemütlich werden könnte.
Ali Daei kam vor der Saison 1999/2000 vom FC Bayern zu Hertha BSC
Ali Daei, der erst im Sommer aus München in die Hauptstadt gewechselt war, galt für die Berliner als hochkarätiger Transfer, entsprechend hoch waren die Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden.
Immerhin kam Daei bereits mit Champions-League-Erfahrung nach Berlin, denn er hatte bereits mit dem FC Bayern München in der Königsklasse gespielt.
Ali Daei gelang im ersten Heimspiel der Saison direkt ein Tor gegen Hansa Rostock
Sein Start in der Bundesliga gelang ebenso eindrucksvoll wie in der Champions League, gleich im ersten Saisonspiel gelang dem Iraner ein Kopfballtor beim überzeugenden 5:2-Sieg gegen Hansa Rostock, der Hertha BSC direkt an die Tabellenspitze der Liga beförderte.
Ali Daeis Start beim damals ambitionierten Hauptstadtverein war also mehr als vielversprechend, und als Daei im Vorrundenspiel gegen den FC Chelsea in der zweiten Hälfte noch einen zweiten Treffer nachlegte – dieses Mal mit dem Fuß – horchten viele europäische Fußballbeobachter auf.
Jürgen Röbers Team mischte in der Champions-League-Vorrunde kräftig mit – und setzte sich durch
Das von Jürgen Röber trainierte Team mischte die Vorrundengruppe mit dem AC Mailand, Galatasaray Istanbul und eben dem FC Chelsea gehörig auf, der Sieg gegen das Team aus London sollte kein glücklicher Ausrutscher bleiben.
Eine Woche später gelang Daei sogar der Führungstreffer für Hertha im Guiseppe-Meazza-Stadion, die Berliner entführten einen Punkt aus der italienischen Modemetropole und schlugen das Starensemble des AC Milan eine Woche später im ausverkauften Olympiastadion überraschend mit 1:0, nach einem Tor von Dariusz Wosz.
Stürmer Ali Daei ging sein anfänglicher Schwung bei Hertha BSC schnell verloren
Hertha konnte sich in dieser Gruppe letztlich sensationell durchsetzen und scheiterte erst später in der Zwischenrunde, in die auch das legendäre Nebelspiel gegen den FC Barcelona fiel. Auch hier stand der Iraner in der Anfangsformation.
Der anfängliche Schwung, der Ali Daei durch die ersten Spiel getragen hatte, war zu diesem Zeitpunkt aber bereits ein stückweit verloren gegangen, der Stürmer traf nicht mehr ganz so zuverlässig wie noch in den ersten Wochen.
Ali Daei und Alex Alves bildeten bei Hertha BSC ein ungleiches Sturmduo
Hinzu kam, dass der Verein in der Winterpause einen weiteren Stürmer verpflichtet hatte, der nach Wünschen der Vereinsführung für Furore sorgen sollte: Alex Alves. Daei und Alves bildeten fortan ein ungleiches Stürmerduo, welches nicht immer harmonieren sollte.
So fiel die Bilanz des Iraners nach seiner ersten Hertha-Saison eher mäßig aus. In der Bundesliga gelangen Daei insgesamt nur drei Tore, im Europapokal ebenfalls drei. In der darauffolgenden Saison waren es erneut nicht mehr als drei Ligatore für den iranischen Nationalspieler.
Nach drei Jahren und 12 Toren verließ Ali Daei Hertha BSC wieder – 2007 beendete er seine Karriere
Wettbewerbsübergreifend erzielte Daei in drei Jahren für Hertha BSC insgesamt 12 Tore und blieb damit unter seinen eigenen Erwartungen und den Erwartungen des Vereins. 2002 wechselte Daei dann zu Al Shabab nach Dubai und beendete seine aktive Laufbahn fünf Jahre später.
Ali Daeis sportliches Wirken geht, vor allem aus iranischer Sicht, natürlich weit über seine Spielzeiten in der Bundesliga hinaus. Zwischen 1993 und 2006 bestritt er 149 Länderspiele für die A-Nationalmannschaft seines Landes und erzielte dabei 109 Tore. Damit rangiert er hinter Cristiano Ronaldo und Lionel Messi als dritterfolgreichster Torschütze in der Geschichte des internationalen Fußballs.
Volksheld Ali Daei: 149 Länderspiele für die iranische Nationalmannschaft
Ali Daei war der erste Spieler, der die Marke von 100 Länderspieltoren überschritt, erzielte jedoch lediglich ein Tor gegen eine Mannschaft aus den Top 10 der FIFA-Weltrangliste, während 55 seiner Treffer gegen Teams erzielt wurden, die zwischen den Plätzen 100 und 208 der Rangliste lagen. Nichtsdestotrotz wurde Ali Daei bereits während seiner aktiven Zeit zu einem Volkshelden des fußballverrückten Landes.
Im Verlauf seiner Karriere nahm er an der Asienmeisterschaft 1996 in den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie an den Weltmeisterschaften 1998 und 2006 teil. Sein letztes Länderspiel bestritt er am 21. Juni 2006 im abschließenden Gruppenspiel der Weltmeisterschaft, das mit einem 1:1-Unentschieden gegen Angola endete. Geschichte schrieb Ali Daei allerdings schon acht Jahre vorher.
21. Juni 1998: Ali Daei stand in der Startelf beim historischen Duell gegen die USA
Daei stand im Juni 1998 in der Startfeld bei einem der wohl bedeutendsten Länderspiele in der Geschichte des iranischen Fußballs. In der Vorrundengruppe F standen sich während der Fußball-WM 1998 die Teams der USA und des Iran gegenüber, ein emotional sehr aufgeladenes Match, das weltweit für Aufsehen sorgte – vor allem durch die versöhnlichen Gesten aller 22 Spieler vor dem Anstoß.
Das Spiel gewann die iranische Mannschaft mit 2:1 und wurde bei ihrer Heimkehr – trotz des Ausscheidens in der Vorrunde – von hunderttausenden begeisterten Fans gefeiert. Nach seiner aktiven Laufbahn wechselte Daei auf die Trainerbank. Er begann seine Trainerkarriere in der Saison 2006/07 bei Saipa Teheran, wo er – noch als Spielertrainer – im Jahr 2007 die iranische Meisterschaft gewann.
Von 2008 bis 2009 war er Nationaltrainer des Iran, wurde jedoch nach einer Niederlage gegen Saudi-Arabien entlassen. In den folgenden Jahren trainierte er verschiedene iranische Vereine, darunter Persepolis Teheran, Rah Ahan, Saba Quom und Naft Teheran.
2022 solidarisierte sich Ali Daei öffentlich mit den Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini
Doch sehr viel mehr Aufsehen erregte Ali Daei durch sein politisches Engagement, welches im Iran kontrovers diskutiert wurde. 2022 solidarisierte er sich öffentlich mit den Protesten im Iran nach dem Tod von Mahsa Amini, was zu einer zeitweisen Beschlagnahmung seines Reisepasses und einem Ausreiseverbot führte.
Ende Oktober 2022 wurde über seine Festnahme berichtet, woraufhin sich zahlreiche deutsche Fußballvereine mit ihm solidarisierten. “Der FC Bayern hofft sehr, dass es unseren ehemaligen Spielern und ihren Angehörigen gut geht. Sie haben unsere ungeteilte Solidarität“, schrieb der Verein im November 2022 auf Anfrage des Magazins Der Spiegel.
Ali Daei erhielt Drohungen gegen sich und seine Familie
Daei selbst bestätigte schließlich Ende November 2022, wegen seiner Unterstützung der Proteste in seiner Heimat bedroht worden zu sein. Auf Instagram schrieb er damals, dass er zahlreiche Drohungen gegen sich und seine Familie erhalten habe. Die Absender seien Organisationen, Medien und unbekannte Personen.
Daei betonte dabei, dass ihm Werte wie Menschlichkeit, Ehre, Patriotismus und Freiheit vermittelt worden seien, und fragte, was man mit solchen Drohungen erreichen wolle. Zudem forderte er die bedingungslose Freilassung aller festgenommenen Demonstranten im Iran.
Ali Daei schlug eine Einladung zur WM 2022 in Katar aus und blieb im Iran
Ali Daei verzichtete auf Einladung der Organisatoren bewusst darauf, als Gast zur WM 2022 nach Katar zu reisen. Stattdessen wolle er bei seinen Landsleuten bleiben und denjenigen sein Mitgefühl ausdrücken, die während der Proteste Angehörige verloren haben. Ali Daei ist rückblickend also nicht nur eine Legende des iranischen Fußballs, sondern für viele Menschen auch zu einem Vorbild für Mut und moralische Integrität geworden.
Seine Erfolge auf dem Spielfeld haben ihn in seiner Heimat mehr als berühmt gemacht, doch es war wohl sein Einsatz für die Rechte und Freiheiten seines Volkes, der ihn für viele Beobachter zu einem Aktivisten des Widerstands werden ließ. Ali Daei ist diesen Schritt mutigen Schritt sehr bewusst gegangen, und das wiegt, zumindest im Iran, noch viel schwerer als das, was Ali Daei als Fußballer erreicht hat – mit allen Konsequenzen.
Quellen: ZEIT, transfermarkt.de, Wikipedia, Der Spiegel, DIE WELT, IMAGO, Instagram