Du warst der humorlose Spielverderber, der finstere Geselle in einer Runde von wohlgestimmten Gemütern. Das schwarze Schaf der Familie. Der Bösewicht. Der Tod von Spaß und Unbekümmertheit. Eine Ode an den Zaun.
Text und Fotos: Björn Leffler
Werter Zaun. Ich muss das jetzt einfach mal loswerden. Die Wut hat sich aufgestaut. Über Jahrzehnte. Immer standest Du uns im Weg. Egal, ob engmaschig, breitmaschig, maschendrahtig, hoch, tief, mit Stacheldraht versetzt oder einfach nur wackelig. Egal ob wir charakterlich verdorbene Jünglinge oder zarte, naive Seelen waren. Völlig egal. Du warst immer da. Wie ein drohender Solitär, wie ein unumstößliches Mahnmal, dass uns still entgegenzuschreien schien: „Bis hierhin und nicht weiter! Verschwindet!“
Du hast uns quälende Hindernisse beschert, wenn wir an einem sonnigen Frühlingssonntag um neun Uhr auf dem Rasenplatz unseres Heimatvereins kicken wollten. Oder dem nächstgelegenen Kunstrasenplatz. Oder gar nur auf einem verwitterten Betonplatz. Oder, oder, oder… Du weißt schon. Jawohl, Du weißt sehr genau, wovon ich rede.
Du warst immer da, wie ein unumstößliches Mahnmal
Du warst der humorlose Spielverderber, der finstere Geselle in einer Runde von wohlgestimmten Gemütern. Das schwarze Schaf der Familie. Der Bösewicht. Der Tod von Spaß und Unbekümmertheit. Der Spielverderber eben.
Aber wir waren natürlich vorbereitet. Wir hatten Taktiken. Egal, wie spitz Deine Zinnen, wie hoch Deine Stahlelemente, wie engmaschig Deine Verkleidungen waren – wir haben Dich überwunden. Wir haben unsere Gesundheit riskiert und sind über Deine fünf Meter hohen Wände geklettert.
Wir haben dutzende Hosen und T-Shirts an Dich verloren
Wir haben dutzende Hosen und T-Shirts an Dich verloren, den Ärger unserer Mütter über die zerrissenen Sachen auf uns genommen, harte Zaunkanten in empfindlichen Weichteilen ertragen, genauso wie verstauchte Knöchel von unsauberen Absprüngen. Das haben wir alles auf uns genommen. Und nicht zu vergessen die Platzwarte, Deine rücksichtslosen, gewissenlosen Gehilfen.
Wie könnten wir die je vergessen. Aber auch die haben wir in Kauf genommen. Wir haben es alles auf uns genommen, wie Jesus die Sünden, wie Mutter Teresa den Schmerz der Armen. Wir haben es auf uns genommen, weil wir geliebt haben, bedingungslos.
Wir haben es auf uns genommen wie Mutter Teresa den Schmerz der Armen
Geliebt haben wir das Spiel der Spiele, das runde Leder, das Tornetz, den frisch duftenden Rasen, den vom Regen durchnässten Kunstrasen, die staubigen Schotterplätze, die Käfige und Tartanplätze. Wir haben sie alle eingeschlossen in die Kathedrale unseres großen Fußballherzes, in die tiefsten Tiefen.
Und wir haben Dich besiegt. Immer und immer wieder. Und das werden wir auch weiterhin tun, sei Dir dessen sicher mein finsterer Widersacher. Denn eins ist sicher: In jedem Zaun ist irgendwo ein Schlupfloch! Man muss nur lang danach suchen – oder selbst eines machen.