Nach der Niederlage gegen Münster steht die Mannschaft von Hertha BSC am Scheideweg. Das letzte Spiel des Jahres bei Hannover 96 könnte für Hertha und Trainer Fiél richtungsweisend werden.
Text: Björn Leffler
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In den sozialen Medien und Fanforen vieler Hertha-Anhänger machte am Wochenende ein Video die Runde, welches die Mannschaft von Hertha BSC nach dem peinlichen Auftritt gegen das Team von Preußen Münster zeigt. Die Mannschaft stand nach dem Spiel vor der Ostkurve und musste eine Brandrede des Ultra-Vorsängers über sich ergehen lassen. Mit hängenden Köpfen und leeren Augen hörten die Spieler demütig zu, dabei kannten sie den Inhalt der Wutrede vermutlich schon vorher.
Der blutleere, unmotivierte und über weite Phasen unstrukturierte Auftritt der Mannschaft von Trainer Christian Fiél ließ die meisten der fast 46.000 Stadionbesucher ratlos zurück. Das Vokabular, welches anschließend von den Spielern selbst gewählt wurde, war schon bemerkenswert. Abwehr-Routinier Toni Leistner sprach vom „Tiefpunkt der Hinrunde“, und Mittelfeld-Akteur Ibrahim Maza äußerte Verständnis dafür, wenn die Fans nicht mehr ins Stadion kommen würden angesichts der gezeigten Leistungen des Teams.
Hertha BSC: Treue Fans trotz sportlicher Krise
Dabei ist der Zuspruch für das Team ungebrochen. Erstmals seit über 25 Jahren kamen im vergangenen Jahr 2024 über eine Million Zuschauer ins Olympiastadion, seit dem Abstieg konnte der Verein rund 17.000 neue Mitglieder verbuchen, die Ticket-Kontingente für Auswärtsfahrten sind regelmäßig schnell vergriffen, selbst zum DFB-Pokalduell am Mittwochabend reisten mehr als 5.000 Anhänger nach Köln. Der Zuspruch der Fans ist also unbestritten groß.
Vergleicht man die heutige Geduld der blauweißen Anhängerschaft mit den Zuständen von vor ein oder zwei Jahrzehnten, dann wird schnell deutlich, wie demütig der Anhang des Zweitligisten geworden ist. Während in den Jahren, als Hertha BSC im oberen Tabellenviertel der Bundesliga Stammgast war, schnell Pfiffe von den Tribünen zu hören waren, wenn es mal nicht rund lief, ist dies mittlerweile die absolute Ausnahme.
Erstmals wieder Pfiffe im Spiel gegen Preußen Münster: Die Geduld der Fans schwindet
Nach dem Spiel gegen Münster waren zum ersten Mal seit langem wieder deutliche Pfiffe des Publikums zu hören, und das, obwohl sich die Mannschaft vor allem zu Hause bereits über die gesamte Hinrunde hinweg sehr schwer tut – und nur zwei Heimsiege einfahren konnte. Trainer Fiél wirkte am Freitagabend zunehmend ratloser, während seine Mannschaft auf dem Feld vollkommen die Linie verlor und einen Fehler nach dem anderen produzierte. Zwei davon führten letztlich zu den beiden Gegentoren, die die 1:2-Heimniederlage besiegelten.
Hertha steht mit sieben Punkten Rückstand auf die Aufstiegsränge und acht Punkten Vorsprung auf die Abstiegsplätze im grauen Mittelfeld der zweiten Liga, mit derzeit wenigen Aussichten, noch einmal ins Rennen um den Aufstieg eingreifen zu können.
Herthas Trainer Christian Fiél in der Kritik: Lösung oder Problem?
Der Kicker veröffentlichte am heutigen Montag einen Artikel, der Trainer Christian Fiél ins Visier nimmt und fragt, ob der im Sommer zur Hertha gestoßene Coach eigentlich Teil der Lösung oder ursächlich für die anhaltenden Probleme sei. Diese Frage werden sich die sportlichen Verantwortungsträger bei Hertha wohl derzeit auch stellen, denn die Formkurve der Mannschaft stagniert nicht mehr nur, sondern sie zeigt seit einigen Wochen sogar deutlich nach unten.
Zum letzten Spiel der Hinrunde werden wieder tausende Hertha-Fans ihre Mannschaft nach Hannover begleiten. Für Trainer Christian Fiél wäre ein Sieg mit großer Wahrscheinlichkeit ausgesprochen wichtig, um auch weiterhin die Rückendeckung der Vereinsführung zu haben.
Baustellen bei Hertha: Verletzungen, mangelnde Qualität und Fehlerquote
Der Trainer hat derzeit so viele Baustellen zu bewerkstelligen, dass es nicht leichtfällt, die Übersicht zu behalten. Das enorme Verletzungspech, welches die medizinische Abteilung der Charlottenburger immer mehr in den Fokus rückt, ist eine dieser Baustellen. Eine andere ist die hohe Fehlerquote, die das Team immer wieder um den Lohn ihrer Arbeit bringt. Vor allem in der Defensive leisten sich Abwehrspieler und Torwart so viele Blackouts, dass dies irgendwann einfach nicht mehr zu reparieren ist. Gegen Preußen Münster etwa patzte Pascal Klemens entscheidend und leitete damit die Wende im Spiel ein.
Doch auch offensiv sieht es nicht viel besser aus, potenzielle Leistungsträger wie Michael Cuisance und Florian Niederlechner spielen seit Wochen unauffällig, der hochtalentierte Ibrahim Maza kann mit seinem technisch versierten Spiel nur begrenzt Einfluss nehmen. Hinzu kommen Spieler wie Kevin Sessa (häufig verletzt), Smail Prevljak (kaum berücksichtigt) oder Jon Dagur Thorsteinsson (bislang zu harmlos), die das Niveau der Mannschaft bislang nicht heben konnten.
“Endspiel”-Charakter beim Auswärtsduell in Hannover: Gelingt die Trendwende?
Vor wenigen Wochen sprach Herthas Geschäftsführer Thomas Herrich noch davon, dass Trainer Christian Fiél die Erwartungen des Vereins übererfüllt habe. Eine Aussage, die er heute so vielleicht nicht mehr treffen würde, jedenfalls nicht öffentlich.
Entscheidend wird sein, ob es Fiél gelingt, gemeinsam mit der Mannschaft eine Trendwende zu erreichen – und ob die Vereinsführung ihm zutraut, diese Trendwende herbeiführen zu können. Das letzte Spiel des Jahres könnte also ein wichtiger Fingerzeig sein, um diese Frage einzuschätzen. Es steht daher einiges auf dem Spiel am kommenden Sonntag in Hannover.
Quellen: Kicker, Der Tagesspiegel, Berliner Morgenpost, IMAGO