“The real Shit”: Fußball ohne Videoassistent, der DFB-Pokal macht’s möglich!

In den ersten beiden Runden des DFB-Pokals ist der Fußball tatsächlich noch so, wie die meisten von uns ihn kennengelernt haben: Ein Spiel, welches auch aufgrund der menschlich völlig normalen Fehlbarkeit von Schiedsrichtern viel weniger plan- und ausrechenbar war. Und das ist absolut großartig! 

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Text: Björn Leffler

 

An den Begriff “Kölner Keller” hat man sich im bundesdeutschen Fußballjargon bereits derartig gewöhnt, dass ich mir letztens willkürlich die Frage gestellt habe, ob die Damen und Herren dort in Köln überhaupt im Keller sitzen – oder ob das nur eine illegitime Alliteration im traditionell kreativen, oft boulevardesk angehauchten Sportreporter-Deutsch ist.

Grundsätzlich ist es jedoch vollkommen unerheblich, ob die Video-Assistenten der DFL in Köln, Braunschweig oder Kassel sitzen und ob es eine Dachterrasse, ein finsterer Kellerverschlag oder ein nüchternes Großraumbüro ist, wo die Bildschirme der Video-Regelhüter aufgebaut sind. An die Interventionen des VAR hat man sich längst gewöhnt, und vor allem heranwachsende Fußball-Fans wachsen wie selbstverständlich damit auf, dass Entscheidungen des Schiedsrichters, die auf dem Feld getroffen wurden, grundsätzlich infrage gestellt werden können.

Der Videobeweis wird dauerhaft Teil des modernen Fußballs sein

Aber, das nur als Vorwarnung, die große VAR-Debatte oder den allzu oft gehörten Abgesang auf den modernen Fußball werden wir hier nicht vornehmen. Denn dass der Videobeweis, der in den Fußball-Profiligen der Welt längst zum Standard gehört und auch bei allen großen Turnieren wie selbstverständlich eingesetzt wird, wieder abgeschafft wird, ist in etwa so wahrscheinlich wie ein Rücktriff Gianni Infantinos vom Amt des FIFA-Präsidenten.

Umso erfreulicher ist es jedoch, dass der DFB den deutschen Fußball-Fans ein kleines, nostalgisches Schlupfloch gelassen hat, in dem sie noch einmal eine kurze aber schöne Zeitreise zurück in jene wilden Tage machen können, in denen Schiedsrichterentscheidungen eben auch Tatsachenentscheidungen waren. Einmal getätigt, konnte der Schiedsrichterpfiff nicht mehr zurückgenommen werden – es sei denn ein Spieler offenbarte dem Schiedsrichter freiwillig, dass er mit seiner Entscheidung falsch lag, was es zwar nur selten, aber auch immer wieder mal gab – Stichwort Miroslav Klose.

Fußball-Fans hatten gelernt, mit immer wieder auftretenden Fehlentscheidungen zu leben

In den Diskussionen um Schiedsrichter-Entscheidungen, die – da muss man sich auch in der oftmals verblendeten Rückschau keine Illusionen machen – niemals entspannt oder gnädig abliefen, schwang jedoch immer das Wissen mit, dass der Schiedsrichter auf dem Feld seine Entscheidung in der Kürze oder Komplexität der Spielsituation treffen musste, ohne wirklich Hilfsmittel zu haben.

Dieses Wissen führte dazu, dass Fußballfans mit immer mal wieder auftretenden Fehlentscheidungen leben mussten und – im überwiegenden Maße – das auch konnten. Denn, so sagte man sich, über den Verlauf einer Saison gleichen sich Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern für oder gegen eine bestimmte Mannschaft letztlich aus. Heute ist es so, dass jede Entscheidung und vor allem jeder Fehler des Videoassistenten mit Verbitterung und Unverständnis diskutiert wird, da trotz umfangreichen Videomaterials immer wieder vollkommen fragwürdige Entscheidungen getroffen werden – uns das deutlich öfter, als man es sich vor Einführung des VAR hätte vorstellen können.

Am Dienstag und Mittwoch waren die Schiedsrichter endlich wieder die einzige Autorität auf dem Platz

Am vergangenen Mittwoch jedoch, als die zweite Runde im DFB-Pokal anstand, waren die Schiedsrichter völlig auf sich allein gestellt. Denn erst ab dem Achtelfinale des deutschen Pokalwettbewerbs wird der VAR wieder seine übergriffigen Finger im Spiel haben. In den ersten beiden Runden jedoch ist Fußball tatsächlich noch so, wie die meisten von uns ihn kennengelernt haben: Ein Spiel, welches auch aufgrund der menschlich völlig normalen Fehlbarkeit von Schiedsrichtern viel weniger plan- und ausrechenbar ist.

Als Schiedsrichter Dr. Matthias Jöllenbeck also beim DFB-Pokalspiel von Hertha BSC gegen den 1. FSV Mainz 05 gleich zweimal auf den Punkt zeigte, merkte man den Besuchern im Stadion beim Jubeln quasi an, dass ihnen während des Aufschreis klar wurde: Da wird sich jetzt niemand mehr einmischen! Es gibt Elfmeter, so oder so. Beide Elfmeter waren übrigens, dass zeigten später die Zeitlupen, absolut berechtigt.

Die ersten zwei Runden des DFB-Pokals sind “The real Shit” des Fußballs

Doch selbst wenn es nicht der Fall gewesen wäre, hätte niemand die Entscheidung des Schiedsrichters anzweifeln können. Dem Referee auf dem Feld – und auch seinen Assistenten an der Seitenlinie – wird in diesen zwei Runden nämlich wieder jene Verantwortung und Autorität zugedacht, die ihnen durch die Einführung des VAR längst abhanden gekommen ist. Die Spiele der ersten zwei Pokalrunden sind also quasi “The real Shit”, der “wahre Fußball”, den Woche für Woche auch Millionen von Amateur- und Freizeitkickern spielen – und bei dem sie ganz sicher nichts vermissen.

In den auf Hochglanz polierten Profiligen und Europapokalwettbewerben jedoch wird der Einsatz des Video-Assistenten in den kommenden Jahren sicher weiter optimiert und seine Deutungshoheit womöglich noch ausgebaut werden. Und sicher kommt der Tag, an dem auch der DFB-Pokal von der ersten bis zur letzten Runde von videogestützten Schiedsrichter-Teams geleitet werden wird. Diese hätten vermutlich beim Duell des 1. FC Saarbrücken gegen den FC Bayern München einen nachträglichen Handelfmeter gegeben.

Mit VAR wäre der FC Bayern München vermutlich nicht ausgeschieden

Und sicher, ja, es wäre vermutlich regelkonform gewesen, dem Rekordmeister diesen Handelfmeter in der siebten Minute der Nachspielzeit zuzusprechen, um dem FC Bayern die Option auf den Titel im DFB-Pokal zu erhalten. Dass dies nicht passiert ist und dass sich an diesem denkwürdigen Mittwochabend ein kleines bisschen Fußball-Anarchie gegen die immer berechenbarer werdenden Spielverläufe durchsetzen konnte, war letztlich eine Sternstunde für den deutschen Sport, so merkwürdig es auch klingen mag.

Unabhängig davon sei gesagt, dass in den übrigen Pokalspielen große Fehlentscheidungen und skandalöse Fehlentscheidungen der Schiedsrichter-Teams ausgeblieben sind. Das wirft die Frage auf, ob man im DFB-Pokal nicht vollends auf den Einsatz des VAR verzichten könnte? Quasi als Ausgleich dafür, dass einem als Fan Woche für Woche der Torjubel im Halse stecken bleibt, wenn sich der Schiedsrichter bedeutungsschwanger den Zeigefinger ans Ohr legt, um dann anschließend mit den Fingern ein drohendes Viereck in die Luft zu malen.

Natürlich wird das nicht passieren. Aber man wird ja hin und wieder noch träumen dürfen.

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