Herthas Mitgliederversammlung begann mit einem Paukenschlag, da der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Brüggemann im Vorfeld zurücktrat. Anschließend gab es sowohl positive als auch negative Nachrichten. Hertha BSC muss einen komplizierten Spagat leisten zwischen finanziellen Altlasten und dem aktuellen Konsolidierungskurs. Auch zum Thema Stadion-Neubau gab es neue Informationen.
Personen auf dem Titelbild: Vizepräsident Fabian Drescher, Anne Jüngermann, Saravanan Sundaram, Anne Noske, Dr. Ralf Thaeter und Peer Mock-Stümer (v.l.n.r.) / © Foto: Hertha BSC / City-Press
Text: Wolfgang Leffler
Bevor die eigentliche Mitgliederversammlung begann, die aufgrund der vorgelegten Tagesordnung versprach, zu einer Mammutsitzung zu werden, gab es bereits den ersten Paukenschlag, der seitens des Vereins Hertha BSC im Vorfeld offiziell kommuniziert wurde: Klaus Brüggemann, Vorsitzender des Aufsichtsrates, dessen Abwahl per Antrag vor den Wahlen des Präsidiums verhandelt werden sollte, hatte überraschend seinen Rücktritt vom Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden verkündet. Zugleich trat Renate Döhmer als langjähriges Mitglied des Aufsichtsrates zurück.
Die Prozedur zur Abwahl hatte sich somit erledigt und Fabian Drescher, Stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates, verlas den von Klaus Brüggemann verfassten offenen Brief, in dem er seine Beweggründe für den Rücktritt darlegte. Brüggemann sprach von der Diffamierung seiner Person innerhalb des Hertha-Umfeldes und bezeichnete den Präsidenten Kay Bernstein zwar als menschlich korrekt und angenehm, aber in seinem Präsidentenamt überfordert.
Hertha hat mittlerweile 49.440 Mitglieder – Zuwachs von 5.230 Personen
Man bekam schnell den Eindruck, dass sich der Verein nun wieder in alte Zeiten der Personalscharmützel und Intrigensümpfe zurückbewegt, aber dieser erste Anschein verflog schnell als die nun verantwortlichen Personen um Thomas Herrich, Benjamin Weber und Pal Dardai in der ersten Runde auf dem Podium Platz nahmen. Die Moderation als Versammlungsleiter übernahm wiederum in gewohnt souveräner und beruhigender Art Dr. Lentfer, der erstmalig an seiner Seite die neue Direktorin für Kommunikation im Verein, Vera Krings, hatte.
Die erste positive Nachricht des Tages gab es denn auch recht schnell. Im vergangenen Jahr konnte Hertha BSC einen Mitgliederzuwachs von stolzen 5.230 Personen verzeichnen und kratzt damit mittlerweile an der Marke von 50.000 Mitgliedern. Zum Vergleich: der 1. FC Union zählt derzeit knapp 63.000 Mitglieder.
Großer Applaus für Herrich, Weber und Dardai – Bernsteins Videobotschaft vom Krankenbett
Bevor die Wahl der neuen Mitglieder des Präsidiums startete, moderierte Fabian Drescher die erste Podiumsrunde mit dem Geschäftsführer der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA, Thomas Herrich, dem Sportdirektor Benjamin Weber und Cheftrainer Pal Dardai, die mit starkem Applaus begrüßt wurden.
Ebenso schickte Fabian Drescher Genesungswünsche an Präsident Kay Bernstein, der aufgrund eines in der Geschäftsstelle anfangs der Woche passierten Unfalls mit drei gebrochenen Wirbeln im Krankenhaus liegt und später via Videobotschaft zugeschaltet wurde und seine Botschaft an die Mitglieder vom Krankenbett aus verkündete.
Wichtigster Punkt des Tages: Die Neuwahl des Präsidiums
Hertha BSC hatte diese Mitgliederversammlung, die turnusmäßig erst Mitte November angestanden hätte, vorgezogen, da bislang das Präsidium nur mit drei Mitgliedern besetzt war, aber insgesamt sieben Mitglieder benötigt werden, um weiterhin handlungs- und arbeitsfähig zu bleiben. Die Nachwahl der neuen Mitglieder des Präsidiums gestaltete sich dann doch weitaus zeitaufwendiger als vermutet, denn allein die persönliche Vorstellung der 21 Kandidaten, von denen allerdings zwei bereits in der ersten Runde ihre Kandidatur zurückzogen, dauerte immerhin knapp eine Stunde. Insgesamt bedurfte es letztlich rund drei Stunden zur Wahl des neuen Präsidiums.
Im ersten Wahlgang konnte sich keiner der Kandidaten mit der erforderlichen absoluten Mehrheit von mehr als 50 Prozent der Stimmen durchsetzen, so dass ein zweiter Wahlgang notwendig wurde. Im zweiten Wahlgang traten dann nur noch zehn Kandidaten an, von denen sich Anne Noske mit 730 Stimmen, Saravanan Sundaram mit 648 Stimmen und Dr. Ralf Thaeter mit 644 Stimmen durchsetzen konnten. Zum Zeitpunkt der Abstimmung befanden sich 1.588 stimmberechtigte Mitgliederinnen und Mitglieder im Saal.
Kay Bernstein: “Korrektur des Irrsinns”
Bernstein beschrieb von seiner Warte aus die sportliche Situation und bemerkte, dass Hertha in den letzten drei Jahren quasi um den Abstieg gebettelt hätte und der Abstieg in der letzten Saison in Liga zwei vorprogrammiert gewesen sei. Den sportlichen Umbruch jetzt in der 2. Bundesliga bezeichnete er als geglückt und speziell die letzten Wochen deuten an, dass etwas ‚Großes’ passieren könne. Das gemeinsame Einhaken der Hertha-Anhänger im St.Pauli-Spiel wäre aus Bernsteins Sicht ‚umwerfend‘ gewesen; trotzdem bleibe noch viel Arbeit, da noch nichts erreicht sei.
Trotz der Krisensituation gebe es auch Sicht des Präsidenten zahlreiche Fortschritte. Daher seien die Hertha-Fans auch ein Stück zufriedener mit dem Verein. Auch die interne Arbeitsatmosphäre sei entspannter geworden. Hertha sei, so Bernstein, ,ein Stück mehr Verein‘ geworden. Bernstein bezeichnete den momentanen Sanierungsprozess als ‚Korrektur des Irrsinns‘ und betonte die Zusammenarbeit mit 777 Partners als zuverlässig, professionell und als wichtiges Element auf dem Weg zur erfolgreichen Sanierung.
Das Herzensprojekt des Vereins: Stadionneubau aktueller denn je
Auch das neue Stadion ist nach wie vor ein Thema, auch wenn es aufgrund der momentan auffälligen Stille rund um das Thema den Anschein hat, dass derzeit nichts passiert. Doch nein, das Thema ist nach wie vor hochaktuell. Bernstein betonte, man warte jetzt die Machbarkeitsstudie der Expertenkommission ab, wann und wo im Olympiapark das Hertha-Stadion gebaut werden könne; die Unterstützung der Berliner Politik sei laut Bernstein weiterhin vorhanden, denn der Stadionneubau ist auch Bestandteil im Koalitionsvertrag des Berliner Senats.
Thomas Herrich berichtete in seinem Vortrag, dass das zurückliegende Geschäftsjahr (01.07.2022 bis 30.06.2023) wiederum ein negatives Betriebsergebnis hatte. Die Gründe dafür seien, dass die Transfererlöse um gut 23 Millionen Euro geringer ausgefallen wären als geplant und die gestiegenen Kosten für die begonnene umfangreiche wirtschaftliche Sanierung, so unter anderem höhere Zinsen und Steuern aufgrund von Kreditinanspruchnahmen, zu Buche schlagen.
Konsolidierungskurs greift – ausgeglichenes Betriebsergebnis im neuen Geschäftsjahr
Die Effekte zu den jetzt ergriffenen Maßnahmen würden erst zum Ende der Saison spürbar zu sehen sein, da speziell die Personalkosten im Vergleich zu den Personalkosten der Saison 2022/23 um 50 Millionen reduziert werden konnten. Insgesamt beläuft sich der Jahresfehlbetrag auf 99,1 Millionen Euro, also rund 20 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Mit einem Erlös von 123,7 Millionen Euro konnten die Aufwendungen in Höhe von 222,8 Millionen Euro bei weitem nicht gedeckt werden.
Man verfügt zwar noch über ein positives Eigenkapital von 5,4 Millionen Euro, dieses ist allerdings aufgrund der erforderlichen finanziellen Nachschüsse deutlich geschmolzen (29,5 Millionen Euro). Herrich betonte aufgrund der nach wie vor angespannten Situation, dass Hertha trotzdem liquide, finanziell abgesichert und wirtschaftlich stabil sei, auch aufgrund der Zusammenarbeit mit 777 Partners, die immerhin 100 Millionen Euro in den Verein aus dem Westend investieren, dafür aber 78,8 Prozent an der KGaA halten. Obwohl dazu auch Kritik geäußert wurde, betonte Herrich, dass diese Zusammenarbeit existenziell für den Verein sei.
Thomas Herrich erwartet für das laufende Geschäftsjahr ein ausgeglichenes Betriebsergebnis
Vorausschauend auf den zukünftigen Haushalt des Geschäftsjahres 2023/24 erwartet Herrich ein fast ausgeglichenes Betriebsergebnis mit nur etwa zwei bis drei Millionen Euro Verlust, welches auf einem knallharten Sanierungskurs basiert, ohne den es nicht geht: Personalkostenreduzierung um 50 Millionen Euro (vorher 97,6 Millionen Euro, allein im KG-Bereich wurden 80 Stellen gestrichen), Reduzierung der Verluste insgesamt um 70 Millionen Euro sowie ein Transferüberschuss von 20 Millionen Euro in diesem Sommer, der sich allerdings erst im neuen Geschäftsjahr im Ergebnis widerspiegeln wird.
Abschließend verwies Herrich darauf, dass der Sanierungsprozess den Verein noch lange begleiten wird, viel Disziplin von allen Beteiligten abverlangen wird und Hertha BSC vor der Herkulesaufgabe stehe, mit einer deutliche Kostenreduktion eine leistungsfähige Mannschaft zusammenzustellen. Insgesamt verspürte man bei der Mitgliederversammlung eine positive Aufbruchstimmung, da die finanzielle Trendwende deutlich zu spüren ist und der Leistungsgedanke derzeit tatsächlich im Vordergrund zu stehen scheint – und erste Erfolge zeigt.
Quellen: Eigene Teilnahme an der Mitgliederversammlung, Pressemitteilung Hertha BSC