Männer unter sich: Nackte Tatsachen in der Umkleidekabine

Die Mannschaftskabine ist das Heiligtum einer jeden Fußballmannschaft. Hin und wieder kann es aber auch zu befremdlichen Situationen kommen. Ein freizügiges Essay darüber, wie schnell eine gut gemeinte Motivationsrede nach hinten losgehen kann…

© Foto Titelbild: Unsplash
Text: Björn Leffler

 

Vierzehnjährig und pickelig saß ich inmitten meiner Mannschaftskollegen der zweiten C-Jugend des VfB Hermsdorf in unserer engen Kabine und ließ den Kopf hängen. Der Schweißt tropfte mir noch von der tief gerunzelten Stirn auf meine verdreckten Fußballschuhe, während wir schweigend darüber nachdachten, wie wir von unserem Gegner, dem MSV Normannia, gleich im ersten Spiel der Saison so derartig auseinander genommen werden konnten.

Gleich das erste Heimspiel hatten wir sang- und klanglos mit 0:6 abgegeben, dabei hatten wir doch ein neues Trainer- und Betreuerteam und – zumindest dachten wir das bis dahin – ein recht talentiertes Team beieinander. Langsam begannen wir also, unsere verschwitzten, pubertierenden Körper zu entkleiden und – ohne den Umweg über die Dusche, wir waren eben vierzehn Jahre alt – unsere Alltagskleidung wieder anzuziehen.

Unser Trainer stand frisch geduscht vor uns – so wie Gott ihn geschaffen hatte

Dies geschah selbstverständlich in der betretenen Stille, die eben in so einer Kabine vorherrscht, wenn man soeben brutal vorgeführt und gedemütigt wurde. Mitten in die Stille hinein platzte unser neuer Trainer, der direkt nach dem Spiel wutenbrannt unter die Dusche gerauscht war. Er trat aus der kleinen, engen Dusche heraus und stand vor uns, so wie Gott ihn – vor langer Zeit – geschaffen hatte.

Augenblicklich stoppten wir unsere schüchternen Aktivitäten und starrten ihn schweigend an. Er, splitterfasernackt, das Handtuch in der linken Hand haltend, ließ seinen strafenden Blick langsam durch die Reihen gleiten. Alles, was er trug, war seine gold umrandete Brille. Alle anderen Facetten seines massigen, 50-jährigen, nur von einem buschigen Oberlippenbart bedeckten Körper präsentierte er uns bereitwillig. Immerhin waren wir hier in einer Fußballkabine, und das war für viele Trainer und Spieler der intimste Ort, den sie sich überhaupt vorstellen konnten. Zudem sei der Vollständigkeit halber ergänzt, dass wir anno 1996 noch nicht über perfide Erfindungen wie Smartphones verfügten.

Wir waren in den Wirren dieser scheußlichen Pubertät gefangen

Für uns Vierzehnjährige stellte sich die Intimität einer Fußballerkabine jedenfalls nicht ganz so ungezwungen dar, waren wir doch in den Wirren dieser scheußlichen Pubertät gefangen. Und nun noch dieser unappetitliche Anblick! Dennoch wagte es niemand, ihn zu bitten, sich doch bitte sein Handtuch um die Hüfte zu binden. Stattdessen verharrten wir, erstarrt zu Salzsäulen. Wir  warteten auf das, was nun irgendwann bitte endlich kommen möge. Seine großen Augen musterten uns aber seelenruhig. Dann, ganz bedächtig, sprach er endlich: “Das war die letzte Niederlage der Saison, Freunde! Das eine sage ich Euch!” Er flüsterte es fast, vor Zorn innerlich brodelnd.

Wir sahen uns verwirrt an. Was meinte er nur damit? “Ab jetzt werden wir jedes Spiel gewinnen. Jedes Spiel der Saison! Jedes!” Wir blickten weiterhin fragend. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Einigen misslang das allerdings. “Aber das schaffen wir nur,” fuhr er fort, “wenn alle mitziehen. Wenn wirklich alle an einem Strang ziehen!” (Dass er nun auch noch unbedingt von einem Strang sprechen muss, dachte ich nur…) “Und wenn einer nicht mitzieht, dann bekommt er es mit mir zu tun, das kann ich schonmal versprechen!”

Die “nackte” Motivationsrede hatte leider nur wenig Erfolg – dennoch wurde sie zur Legende

Noch immer sagten wir nichts. Noch immer stand er nackt vor uns, nachdem er uns was auch immer angedroht hatte. Danach verschwand er wieder in der Dusche und ließ uns einigermaßen ratlos zurück. Wir verloren die nächsten sieben Spiele am Stück. Danach ging es sehr schnell. Beim Training nach der achten Niederlage aus acht Spielen stand plötzlich unser Co-Trainer auf dem Platz und leitete das Training. Und das tat er dann auch bis zum Ende dieser Saison (die wir, nebenbei erwähnt, auf einem passablen sechsten Platz abschlossen).

Es ließ sich im Nachhinein nie ganz aufklären, ob die Vereinsführung aufgrund der anhaltenden Erfolglosigkeit gehandelt hatte, oder ob sich ein Elternteil über die fragwürdigen – weil sehr freizügigen – Motivationsmethoden unseres beleibten Trainers beschwert hatte. Zweiteres war in der durchaus konservativen Wertewelt des Reinickendorfer Stadtteils Hermsdorfs Mitte der 1990er Jahre durchaus vorstellbar.

Dennoch blieb sein Auftritt auf ewig unvergessen, für alle von uns. Mit all seinen befremdlichen Bestandteilen. Immerhin, das ist uns von ihm geblieben. Ich habe ihn allerdings nie wieder gesehen. Besser ist es wohl.

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