Warum es sich lohnt, die neue Beckenbauer-Dokumentation zu schauen

Es gibt – mal wieder – eine Dokumentation über Franz Beckenbauer. Obwohl über den Sportler, Trainer, Funktionär und Menschen Beckenbauer mittlerweile alles gesagt sein dürfte, hat sich der Bayerische Rundfunk noch einmal die Mühe gemacht, das Leben des “Kaisers” ausführlich zu beleuchten. Dabei ist den Filmemachern nicht nur eine erstaunlich gute Betrachtung der Figur Beckenbauer gelungen, sondern auch eine Retrospektive der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland.

© Foto Titelbild: Depositphotos.com
Text: Björn Leffler

 

Eine Dokumentation über Franz Beckenbauer. Puh, da muss man erst einmal durchatmen. Noch eine? Man dürfte meinen, dass über den Menschen, den Sportler, den Trainer und den Funktionär Franz Beckenbauer mittlerweile eigentlich alles gesagt sein dürfte. Trotzdem hat sich der Bayerische Rundfunk noch einmal die Mühe gemacht, Franz Beckenbauer von vielen Seiten und aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten.

Was dabei von Beginn an auffällt, ist die Tatsache, dass sich die Filmemacher weniger auf altbekannte Ausschnitte aus Beckenbauers sportlicher Karriere konzentrieren, sondern vielmehr darauf, wie Beckenbauer neben dem Platz agierte und wirkte. Sicher, die großen Spiele Beckenbauers werden beleuchtet: das verlorene WM-Finale 1966, das “Jahrhundertspiel” 1970 gegen Italien, der WM-Triumph von München.

Franz Beckenbauer, einer der ersten “Popstars” des Fußballs

Doch diese Spiele werden, was sehr angenehm ist, nicht in aller Ausführlichkeit ausgebreitet, sondern nur angerissen, da die meisten Zuschauer dies alles schon hundertmal (oder sogar öfter) gesehen haben. Viel spannender ist allerdings, wie es Beckenbauer gelang, zu einem der ersten “Popstars” des globalen Fußballs zu werden und wie eng seine Beziehung zum langjährigen Manager und Freund Robert Schwan war.

Zudem wird die private Seite Beckenbauers beleuchtet, wie es bislang nur selten der Fall war. Alle langjährigen Lebensgefährtinnen des “Kaisers” – bis auf seine aktuelle Frau Heidi Beckenbauer – kommen in der Dokumentation ausführlich zu Wort und bewerten rückblickend die gemeinsame Zeit mit Beckenbauer, die in der Regel jeweils in etwa ein Jahrzehnt andauerte, bis Beckenbauer zur nächsten Frau weiterzog.

Bruder Walter Beckenbauer gibt bewegende Einblicke

Neben Persönlichkeiten aus Sport, Politik und Kultur – Joschka Fischer, Harald Schmidt, Marcel Reif, Günter Netzer – äußern sich auch Personen aus dem engsten Umfeld Beckenbauers. Dabei bleiben besonders die Äußerungen seines Bruders Walter Beckenbauer haften, der sagt, dass er vor allem in den 1970er Jahren überhaupt nicht mehr zu seinem berühmten Bruder durchdringen konnte, weil dieser ständig umringt, verreist oder ausgeplant war.

Eine erneute Annäherung der beiden Brüder gab es erst ab Ende der 1970er Jahre, als Beckenbauer nach Problemen mit den deutschen Steuerbehörden und negativen Schlagzeilen in der Presse – er verließ seine erste Familie mit drei Kindern – bei Cosmons New York in den USA anheuerte. Walter Beckenbauer ist es auch, der am Ende der Dokumentation sehr bewegende Einblicke in den unsteten Gesundheitszustand Franz Beckenbauers gibt.

Das Ende der “Lichtgestalt”: Die WM-Korruptionsaffäre

So kritisch wie Beckenbauers private Gepflogenheiten beleuchtet werden, so hart gehen die Filmer mit dem “Kaiser” natürlich auch hinsichtlich der Korruptionsaffäre im Zuge der Weltmeisterschaft 2006 ins Gericht. Hierbei wird noch einmal minutiös nachgezeichnet, wie der Skandal vom Spiegel aufgedeckt wurde und welche Auswirkungen dies auf das Leben Beckenbauers hatte, letztlich bis heute.

Während die Protagonisten, die sich während der Dokumentation zu Beckenbauer äußerten, zu Beginn des Films noch einhellig positiv und überschwänglich waren, gehen die Äußerungen zu den Funktionärstätigkeiten von Franz Beckenbauer merklich auseinander. Ein Tenor jedoch, der in allen Äußerungen mitschwingt, ist das Bedauern darüber, dass und wie die deutsche Öffentlichkeit mit einem ihrer größten Sportidole gebrochen hat, ohne die Komplexität des Unterfangens “WM-Bewerbung” im Umfeld des korrumpierten Weltfußballverbands FIFA zu berücksichtigen.

2015: Beckenbauer verlor seinen Sohn Stephan aufgrund eines Hirntumors

Seit dem Aufdecken der Korruptionsaffäre ab 2015 hat das Leben Beckenbauers, dem bis dahin fast alles gelungen war und dem letztlich alles verziehen wurde, tatsächlich mehrere tragische Wendungen genommen. Neben der Tatsache, dass der Skandal um die WM-Vergabe sein Image schwer geschädigt hat, musste Beckenbauer im Juli 2015 auch den frühzeitigen Tod seines Sohns Stephan verkraften, der an einem Hirntumor litt.

Beckenbauer selbst hat seitdem mit gravierenden gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. So musste er mehrfach am Herzen operiert werden und erlitt einen Augeninfarkt, so dass er auf einem Auge fast blind ist. Da Beckenbauer selbst in der Dokumentation nur im Rahmen älterer Interviews zu Wort kommt, aber nicht mehr für ein Interview zur Verfügung stand, wirkt die Dokumentation auf merkwürdige Weise wie ein vorzeitiger Nachruf auf Franz Beckenbauer.

Obwohl eine eigene, aktuelle Retrospektive Beckenbauers in dieser Dokumentation fehlt, ist den Filmemachern vom Bayerischen Rundfunk mit der Dokumentation “Beckenbauer” ein sehr anspruchsvoller Film gelungen, der nicht nur eine historische, kulturelle und politische Einordnung der Figur Franz Beckenbauer vornimmt, sondern auch eine Retrospektive der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland ist.

Den 90-minütigen Film könnt Ihr hier in der ARD Mediathek abrufen:  

 

 

Quelle: ARD Mediathek

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