Am heutigen Mittwochabend beginnt für den 1. FC Union Berlin das Abenteuer Champions League. Mit dem Spiel bei Real Madrid kehrt Berlin auf die größte Bühne des internationalen Vereinsfußballs zurück. Es hat immerhin 23 Jahre gedauert, seit Hertha BSC zuletzt im Konzert der Großen mitspielen durfte. Das Spiel im Estadio Santiago Bernabeu ist also nicht nur für die “Eisernen” von historischer Bedeutung.
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Text: Björn Leffler
Der 20. Oktober 1999 ist nicht unbedingt einer jener Tage, die sich aufgrund umwerfender Ereignisse ins Gedächtnis der Weltbevölkerung eingebrannt haben. Der 20. Oktober 1999 war – zumindest in Berlin – ein recht kühler Herbstmittwoch, den ganzen Tag über nieselte es leicht.
Der Bundessicherheitsrat beschloss an diesem Tag die Lieferung des Panzertyps Leopard 2 an die Türkei, in Berlin endete die europäische Kindersoldatenkonferenz mit der nicht wirklich überraschenden Ächtung des Einsatzes von Kindersoldaten, in Leipzig wurde die Baufachmesse mit einer Laudatio von Fritz Eichbauer eröffnet, und die Studenten der Freien Universität Berlin ergötzten sich an einem Vortrag des bekannten Kabarettisten Vicco von Bülow alias „Loriot“. Die Ziehung der Lottozahlen brachte die Gewinnkombination 2, 3, 12, 22, 39, 45 hervor. Zusatzzahl war die 4.
20. Oktober 1999: Hertha BSC schreibt Geschichte und schlägt den AC Mailand mit 1:0
Kein Tag also, an dem Geschichte geschrieben worden ist, möchte man meinen. Dennoch wartete die Berliner Boulevardpresse am Morgen dieses 20. Oktobers mit ungewohnten Superlativen auf. Die B.Z. titelte auf Seite 1 ihrer Ausgabe betont zurückhaltend: „Das Spiel des Jahrhunderts!“ Und tatsächlich sollte sich an diesem kühlen Oktoberabend im damals noch nicht überdachten Rund des Berliner Olympiastadions Großes tun, denn der AC Mailand war zu Gast. Nicht zum Freundschaftsspiel, sondern zum dritten Vorrundenspiel der Champions League. Dieser Umstand allein machte es aus Sicht der Hauptstadt, deren damals einziger Verein im Profifußball – Hertha BSC – drei Jahre zuvor noch durch die zweite Liga gestolpert war, zu einem Jahrhundertspiel.
Am Tag nach dem Spiel jedoch war es allerdings nicht die bloße Anwesenheit von Weltstars wie Andrej Schewtschenko, Paolo Maldini, Alessandro Costacurta, Leonardo oder Oliver Bierhoff, welche die Schlagzeilen prägten. Am Abend des 20. Oktober 1999 war der Verein Hertha BSC auf die große Bühne des europäischen Fußballs hinausgetreten. Nach dem überzeugenden 1:0-Sieg gegen das italienische Star-Ensemble war der Verein aus der deutschen Hauptstadt schlagartig kein unbekannter Exot mit einem merkwürdigen Vereinsnamen mehr, sondern ein ernstzunehmender Gegner mit einem großen Potential im Rücken.
Hertha BSC überstand überraschend die Vorrunde in der Champions League
Tatsächlich hatte Hertha BSC in der Vorrund bereits zuvor zwei Spiele absolviert. Einem 2:2 gegen Galatasary Istanbul folgt ein völlig überraschender 2:1-Heimsieg gegen den FC Chelsea. Doch es ist dieses Spiel gegen den AC Mailand, welches besonders in Erinnerung geblieben ist, denn es legte den Grundstein für das Weiterkommen der Herthaner, die die Vorrunde als Gruppenzweiter überstanden.
Damals wurde nach der Gruppenphase allerdings kein Achtelfinale ausgetragen, sondern eine “Zwischenrunde” genannte weitere Gruppenphase, in der Hertha gleich ein zweites “Jahrhundertspiel” geschah, das Nebelspiel gegen den FC Barcelona, von dem man munkelt, es sei 1:1 ausgegangen. Genauso wie der 1. FC Union heute Abend spielte Hertha im Zuge dieser zweiten Gruppenphase in einem der bedeutendsten Fußballstadien Europas, in Barcelonas Camp Nou, wo das Team 1:3 unterlag. Den Führungstreffer für die Berliner hatte der mittlerweile verstorbene Mittelstürmer Alex Alves per Kopf erzielt.
Unions Gastspiel in Madrid: Berlin kehrt nach 23 Jahren auf die größte Bühne des Vereinsfußballs zurück
Am 21. März 2000, vor über 23 Jahren, endete der Ausflug der Hertha in der Champions League, mit einem 0:1 im Olympiastadion gegen den FC Porto. Als Gruppenletzter verpasste das Team von Trainer Jürgen Röber den Einzug in das Viertelfinale. In den folgenden Jahren verpassten die Charlottenburger mehrfach eine erneute Qualifikation für die Champions League und mussten sich wiederholt mit dem UEFA Cup bzw. der Europa League begnügen.
Genauso wie es dem Team von Hertha BSC in der Saison 1998/99 gelang, konnte auch der 1. FC Union Berlin nur wenige Jahre nach seinem Aufstieg in die 1. Bundesliga den Sprung in die europäische Königsklasse schaffen, nachdem sie in den vergangenen zwei Spielzeiten bereits in der Conference League und der Europa League für Furore gesorgt haben. Dass das erste Spiel der “Eisernen” ausgerechnet bei Real Madrid – in einer Kathedrale des Weltfußballs und gegen einen der populärsten Clubs der Sportgeschichte – vonstatten geht, hätte sich kein Filmregisseur besser ausdenken können.
3.800 Union-Fans begleiten die “Eisernen” zum Auswärtsspiel nach Madrid
Die Euphorie in Köpenick ist dementsprechend groß. Rund 3.800 Fans begleiten das Team von Trainer Urs Fischer heute in die spanische Hauptstadt, das Kartenkontingent für den Auswärtsblock im Estadio Santiago Bernabeu war innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Viele Unionerinnen und Unioner hatten daher versucht, Tickets für die Heimbereiche von Real Madrid zu erwerben. Doch auf der offiziellen Ticketseite der “Königlichen” wurden Computer mit einer deutschen IP-Adresse nicht einmal in den Online-Shop gelassen. Die BILD titelte daher markig: “Real Madrid sperrt deutsche Ticket-Käufer aus”.
Unabhängig von diesen Nebengeräuschen versucht Trainer Urs Fischer das Spiel sportlich richtig einzuordnen. “Als Spieler und als Trainer weißt du nicht, wie viele Male du noch hier spielen wirst,” sagte Fischer auf der Pressekonferenz des Vereins vor dem Spiel und betonte damit, dass er das Spiel vor allem als Belohnung ansieht. Das sieht auch Unions Kapitän Christopher Trimmel so, der gegenüber der Berliner Morgenpost sagte: “Man ist schon ein Stück weit stolz, so etwas erreicht zu haben. Wenn man sich die Entwicklung von Union anschaut, ist das fast schon eine einmalige Geschichte. Wir freuen uns darauf.”
Das erste “Heimspiel” werden die Unioner am 3. Oktober gegen Sporting Braga bestreiten
Unabhängig davon, wie das Spiel gegen Real Madrid heute Abend ausgeht, wird der 1. FC Union seiner jüngeren Vereinsgeschichte mit dem Gastspiel beim 14-maligen Champions-League-Sieger Real Madrid eine weitere Sternstunde hinzufügen. Und wer weiß, vielleicht gelingt dem Verein aus Köpenick tatsächlich der Sprung in die Runde der letzten 16 Mannschaften. Die vergangenen Jahre haben schließlich gezeigt, dass man das Team aus dem Südosten Berlins in keinem Fall unterschätzen sollte. Das wird sich, Toni Kroos sei Dank, auch bis nach Madrid herumgesprochen haben.
Das erste “Heimspiel” werden die Unioner am 3. Oktober im Berliner Olympiastadion gegen den portugiesischen Vertreter Sporting Braga bestreiten, weit entfernt von der Alten Försterei, aber mit einem deutlich größeren Publikum im Rücken, als dies in der Heimspielstätte an der Wuhlheide möglich gewesen wäre. Im Juli hatte der Verein entschieden, die anstehenden Heimspiele in der kommenden Champions-League-Saison im Olympiastadion in Charlottenburg austragen zu wollen – obwohl die UEFA eine Durchführung der Spiele in der Alten Försterei gestattet hatte.
Bis vor zwei Jahren erlaubte die Europäische Fußball-Union ausnahmslos keine Stehplätze bei Europacup-Spielen. Stadien für die internationalen Wettbewerbe mussten auch eine Mindestanzahl an Sitzplätzen haben. Das Stadion an der Alten Försterei erfüllte die Kriterien nicht. Deshalb musste Union bereits 2021 in der Conference League ins entfernte Olympiastadion ausweichen. Wegen der Corona-Auflagen war das Stadion damals aber auch nur zum Teil gefüllt. Nun wurden die Auflagen der UEFA aufgeweicht, Stehplätze wurden erstmals seit Jahrzehnten wieder zugelassen. Schon im vergangenen Jahr trugen die Köpenicker also ihre Europa-League-Spiele in der Alten Försterei aus. Daher kam die Entscheidung des Clubs, in diesem Jahr dennoch im Olympiastadion zu spielen, doch eher überraschend. Doch daran wird heute Abend in Madrid wohl erst einmal niemand denken.
Quellen: Kicker, BILD, realtotal.de, Berliner Morgenpost, Der Tagesspiegel
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