Trotz aller Euphorie beim Champions-League-Heimauftakt im Berliner Olympiastadion: Nach der sechsten Pflichtspielniederlage in Folge steht der 1. FC Union vor großen Herausforderungen. Doch nicht die sportliche Entwicklung, sondern Entscheidungen der Vereinsführung sorgen bei alteingesessenen Union-Anhängern für Kritik. Die “Eisernen” suchen derzeit ihre Balance, sowohl sportlich als auch kulturell.
© Foto Titelbild: Ilya Glauberman
Text: Björn Leffler
Den bitteren Schlusspunkt eines bemerkenswerten Abends im verregneten Berliner Olympiastadion setzte am gestrigen Dienstag André Castro, der in der 94. Minute das 3:2 für den portugiesischen Vertreter SC Braga erzielte. Der 1. FC Union verlor damit auch sein zweites Champions-League-Spiel erst in der Nachspielzeit. Zudem war die Art und Weise ausgesprochen unglücklich, denn eigentlich drückten die Köpenicker – die allerdings eine 2:0-Führung verspielt hatten – auf den 3:2-Siegtreffer.
Doch der neuerliche Nackenschlag und die damit sechste Pflichtspielniederlage in Folge ließ sowohl die zahlreichen und lautstarken Fans auf den Tribünen als auch Trainer Urs Fischer verzweifeln. Fischer sank nach dem Siegtreffer für die portugiesischen Gäste kopfschüttelnd auf die Trainerbank – und sah dabei zunehmend ratlos aus. Bis zur 41. Minute sahen die Unioner wie der sichere Sieger des Abends aus, nach einem Doppelschlag von Sheraldo Becker wähnten sich die “Eisernen” auf der Siegerstraße.
Der SC Braga egalisierte die 2:0-Führung der Unioner
Doch zwei Tore von Niakaté (41. Minute) und Bruma (51.) stellten das Resultat auf 2:2. Dass sich die Berliner danach wieder fingen und weitere, hochkarätige Chancen erarbeiten konnten, spricht für die Moral und die Intaktheit der Mannschaft. Allein, es fehlt im Moment das Spielglück. Und so kam die Niederlage ähnlich unglücklich zustande wie das 0:1 am vergangenen Wochenende in Heidenheim, als die Unioner zahlreiche gute Tormöglichkeiten ungenutzt ließen.
Dem 1. FC Union fehlt derzeit, was sie in den vergangenen fünf Jahren ausgemacht hat: die Effizienz vor dem Tor. Aber ist es tatsächlich nur das? Mit den Verpflichtungen von hochkarätigen und finanziell nicht leicht zu stemmenden Spielern (Gosens, Volland, Bonucci), die das Mannschaftsgefüge zumindest neu sortiert haben, ist der 1. FC Union einen neuen Weg gegangen. Und trotz – oder wegen – der neuen Spieler gelingt es dem Verein aus dem Berliner Südosten derzeit nicht, die Balance zwischen Bundesliga-Alltag und Champions League hinzubekommen.
Die Rechnung von Zingler und Runert geht derzeit nicht auf
Und somit geht die Rechnung von Präsident Zingler und Sportdirektor Runert derzeit nicht auf. Beide waren vor der Saison mit ihren finanziellen und sportlichen Entscheidungen durchaus Risiken eingegangen. Vor allem die Entscheidung, ohne Not im großen Olympiastadion zu spielen statt im Stadion an der Alten Försterei, hatte bei vielen Fans für Kopfschütteln gesorgt. Beim gestrigen Spiel im Olympiastadion prangte denn auch ein großes Banner auf der Gegentribüne, für die TV-Kameras jederzeit sichtbar: “Wir brauchen die Alte Försterei wie die Luft zum Atmen!”
Ein klares Statement, welches nicht von ungefähr kommt. Schon vor dem ersten Spiel der Unioner bei Real Madrid veröffentlichte die Gruppe Hammerhearts, eine Ultra-Gruppierung des 1. FC Union, eine Stellungnahme zum Umzug ins Olympiastadion. Dort heißt es unter anderem: “Können Leute, die wenig bis keine Spiele unseres Vereins im Stadion An der Alten Försterei erlebt haben, überhaupt nachvollziehen, was unsere Fußballkultur ist? Mitgliedschaft hin oder her. Wird durch diese drei Spiele nicht ein falscher Eindruck vermittelt? Nämlich der, dass es auf einmal allen Unionmitgliedern möglich ist, ein “Heimspiel” unseres Vereins zu sehen? Was macht das mit der Erwartungshaltung?”
Kritik am Umzug ins Olympiastadion – aber auch große Euphorie rund um den Verein
Die Gruppierung äußert durchaus Verständnis für das Dilemma der Vereinsführung, kritisiert aber die Tatsache, dass die Fans kein Mitspracherecht bei der Stadion-Entscheidung hatten und dass die Werte des 1. FC Union durch solche “Großevents” verwässert würden. Genau dies sind die Sorgen vieler langjähriger Union-Fans, die sich plötzlich von zehntausenden neuen Fans umringt sehen, die vor allem von einem angezogen worden sind – vom Erfolg des Vereins.
Sowohl sportlich als auch kulturell muss der 1. FC Union aufpassen, in den kommenden Wochen und Monaten nicht seine bislang einzigartige und beeindruckende Balance und vor allem die Fokussierung auf das Wesentliche zu verlieren. Andererseits bleibt festzuhalten, dass der Support von den Rängen und die Stimmung im Olympiastadion am Dienstagabend herausragend waren – auch ohne das Stadion an der Alten Försterei. Für die Verantwortlichen der “Eisernen” werden die kommenden Wochen dennoch zum Balanceakt werden, denn das Team braucht dringend Erfolge, an allererster Stelle in der Bundesliga.
Für eine Krise ist es zu früh – doch die Vereinsführung braucht Fingerspitzengefühl
Aber noch ist die Saison jung, für erste Abgesänge oder Krisenszenarien ist es viel zu früh. Und schließlich hat der 1. FC Union letztlich ein Luxusproblem, mit dem umwerfenden Erfolg der vergangenen Jahre richtig umzugehen. Und auch der Vereinsführung der “Eisernen” sollte die ein oder andere Fehlentscheidung verziehen werden. Die nächsten Konfliktthemen stehen allerdings bereits an. Beim geplanten Umbau der Alten Försterei sollen alle drei von den Fans selbst gebauten Tribünen abgerissen und komplett neu gebaut werden.
Präsident Dirk Zingler und die gesamte Vereinsführung sollten hier im Dialog mit den Fans in jedem Fall mehr Fingerspitzengefühl beweisen als im Vorfeld der Entscheidung, die Champions-League-Spiele im Olympiastadion austragen zu wollen. Denn die Alte Försterei ist das Epizentrum des rotweißen Selbstverständnisses, vor allem seit dem in Eigenregie umgesetzten Umbau des Stadions. Aber dieses Thema steht derzeit noch hinter den aktuellen Entwicklungen an.
Quellen: Faszination Fankurve, Kicker, Berliner Morgenpost, ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
2 Replies to “Zwischen Euphorie, Fan-Kritik und fehlendem Spielglück: Union Berlin sucht seine Balance”